Lexikon
Anwendungsgebiete
Die folgende Aufstellung gibt einen Überblick über die Bereiche, in denen Tierversuche durchgeführt werden.
- Medizinische und biologische Grundlagenforschung
- Entwicklung, Erprobung und Wirksamkeit von Arzneimitteln
- Schädlichkeits- und Verträglichkeitsprüfung von chemischen Substanzen des täglichen Bedarfs, wie Reinigungsmitteln, Farben, Lacken usw. sowie Industriechemikalien
- Schädlichkeits- und Verträglichkeitsprüfung von Kosmetika und Körperpflegemitteln
- Giftigkeitstests von »Schädlings«-Bekämpfungsmitteln
- Erkennung von Umweltgefährdungen, z.B. Abwassertests Gentechnik (fällt zum großen Teil unter Grundlagenforschung)
- Aus-, Fort- und Weiterbildung
- Bundeswehr
- Herstellung von Impfstoffen und Seren
- Überprüfung jeder Produktionseinheit (Charge) von Impfstoffen, Infusionslösungen und anderen biologischen Arzneimitteln
- »Aufbewahrung« von Viren, Bakterien und Parasiten, um diese Organismen für Forschungszwecke dauerhaft zur Verfügung zu haben
- Diagnostik verschiedener Menschen- und Tierkrankheiten
- Versuche zur Erhöhung der »Leistung« (mehr Milch, Eier, Fleisch) und zur Anpassung der landwirtschaftlich »genutzten« Tiere an die Massentierhaltungssysteme.
Definition Tierversuch
Im Sinne der Richtlinie 2010/63/EU bezeichnet der Ausdruck Tierversuch (=„Verfahren“) jede invasive oder nicht invasive Verwendung eines Tieres zu Versuchszwecken oder anderen wissenschaftlichen Zwecken mit bekanntem oder unbekanntem Ausgang, oder zu Ausbildungszwecken, die bei dem Tier Schmerzen, Leiden, Ängste oder dauerhafte Schäden in einem Ausmaß verursachen kann, das dem eines Kanüleneinstichs gemäß guter tierärztlicher Praxis gleichkommt oder darüber hinaus geht.
Dies schließt alle Eingriffe ein, die dazu führen sollen oder können, dass ein Tier in einem solchen Zustand geboren oder ausgebrütet oder eine genetisch veränderte Tierlinie in einem solchen Zustand geschaffen und erhalten wird, schließt jedoch das Töten von Tieren allein zum Zwecke der Verwendung ihrer Organe oder Gewebe aus.
Verfahren dürfen ausschließlich zu den folgenden Zwecken durchgeführt werden:
a) Grundlagenforschung;
b) translationale oder angewandte Forschung mit einem der folgenden Ziele:
i) Verhütung, Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von Krankheiten oder anderen Anomalien oder deren Folgen bei Menschen, Tieren oder Pflanzen;
ii) Beurteilung, Erkennung, Regulierung oder Veränderung physiologischer Zustände bei Menschen, Tieren oder Pflanzen oder
iii) das Wohlergehen der Tiere und die Verbesserung der Produktionsbedingungen für die zu landwirtschaftlichen Zwecken aufgezogenen Tiere;
c) für jedes der in Buchstabe b genannten Ziele, die Entwicklung und Herstellung sowie Qualitäts-, Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsprüfung von Arzneimitteln, Lebensmitteln und Futtermitteln und anderen Stoffen oder Produkten;
d) Schutz der natürlichen Umwelt im Interesse der Gesundheit oder des Wohlergehens von Mensch oder Tier;
e) Forschung im Hinblick auf die Erhaltung der Arten;
f) Ausbildung an Hochschulen oder Ausbildung zwecks Erwerb, Erhaltung oder Verbesserung von beruflichen Fähigkeiten;
g) forensische Untersuchungen.
Ethikkommission
Die Ethik-oder auch Tierversuchskommission nach §15 TSG berät die zuständige Behörde bei der Genehmigung von Tierversuchen. Dabei hat die Kommission lediglich eine beratende und keine entscheidende Funktion.
Die Kommission besteht zu 2/3 aus Wissenschaftlern und zu 1/3 aus Tierschutzvertretern. Da der Begriff „Tierschutz“ nicht geschützt ist, kann auch ein Tierversuchsbefürworter ausgeben, Tierschutz zu betreiben wie etwas der Tierschutzbeauftragte eines Konzerns. Der Interessenkonflikt wird an der Stelle deutlich.
Die Kommissionsmitglieder sind ehrenamtlich tätig. Für die Vertreter des Tierschutzes aus nicht wissenschaftlichem Bereich bedeutet jeder Antrag einen hohen zeitlichen Aufwand um die wissenschaftlichen Formulierungen verstehen zu können.
Forschungsfreiheit
Die Forschungsfreiheit zählt zu den bürgerlichen Grundrechten. In Deutschland wird die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre gemäß § 5 GG als Grundrecht geschützt. Dieses Grundrecht steht über dem Tierschutzgesetz, wodurch dieses in vielen Bereichen außer Kraft gesetzt wird.
Grundlagenforschung
In der zweckfreien Grundlagenforschung geht es per Definition um „das Streben des Menschen nach Erkenntnis“, und „unmittelbar anwendbare Ergebnisse sind nicht das erste Ziel“(1) Ihr Zweck ist also nicht primär die Heilung und Behandlung von Krankheiten, sondern die Forschung selbst.
Tierexperimentellen Grundlagenforschung wird in der Öffentlichkeit oft gerechtfertigt mit der Aussicht auf das Heilung kranker Menschen. Die Forschungsergebnisse würden irgendwann in ferner Zukunft einmal Menschen helfen. Doch ein hehres Ziel lässt sich leicht erfinden. Eine Kontrolle dieser Behauptungen findet in keiner Weise statt.
Auch Versuchsvorhaben, bei denen es darum geht, beim menschlichen Patienten längst etablierte Behandlungsmethoden tierexperimentell nachzuvollziehen, sind ein beliebtes Feld der Grundlagenforscher. Zwei wissenschaftliche Studien (2,3) zur Frage des Nutzens von Tierversuchen bestätigen, dass Tierversuche häufig nicht vor klinischen Versuchen stattfinden, sondern gleichzeitig oder danach.
Eine Übersicht über absurde Tierversuche, die ohne Nutzen für den Menschen sind, finden Sie hier in der Broschüre "Alzheimer schützt vor Winterschlaf".
Klinische Phase
In der Medikamentenentwicklung folgt nach der Testung am Tier (präklinischen Phase) die Testung am Mensch (klinische Phase). Hierbei werden alle Substanzen, die sich beim Tier wirksam und ohne Nebenwirkungen gezeigt haben, direkt dem Menschen verabreicht. Der Tierversuch soll dieser Phase als Sicherheit dienen. Da die Übertragbarkeit jedoch nicht gegeben ist, sind die Probanden jeder dieser drei Phasen einem erheblichen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt. Mehr Infos unter Medikamentenentwicklung.
REACH
Im Juni 2007 trat die EU-Chemikalien-Verordnung REACH in Kraft. Die Chemikalien-Verordnung sieht vor, dass Zigtausende alte Chemikalien, die vor 1981 auf den Markt gekommen sind, auf ihre möglichen Risiken für Mensch und Umwelt zu überprüfen. Seit 1981 werden neue Substanzen vor Marktzulassung nach einem bestimmten Muster getestet - durchweg in Tierversuchen. Mit REACH sollen auch die Altchemikalien diesem System angeglichen werden. Auch alte Chemikalien - von Terpentin bis Textilfarbe, von Maschinenöl bis Pflanzenschutzmittel - sollen bis 2018 auf ihre Giftigkeit überprüft werden, und zwar größtenteils in Tierversuchen.
Weitere Infos: REACH
Regulierungsbehörde
Alle Tierversuche sind entweder anzeigepflichtig oder genehmigungspflichtig.
Eine bloße Anzeige des entsprechenden Tierversuchs reicht z.B. bei den gesetzlich vorgeschriebenen toxokologischen Untersuchungen, für die Prüfung von Impfstoffe sowie zur Aus-, Fort- und Weiterbildung. Hier reicht das Ausfüllen eines Formulars.
Genehmigungspflichtig dagegen sind alle Tierversuche für die Grundlagenforschung und Arzneimittelforschung. Das zusammen sind 59% aller Tierversuche. Hierzu stellt der Forscher einen Antrag an seine zustände Behörde bzw. das Regierungspräsidium. Der Antrag umfasst ca. 40 standardisierte Fragen zum Zweck des Versuchs, zur Unerlässlichkeit, zur ethische Vertretbarkeit, zu Art und Anzahl der Tiere sowie die zu erwartende Belastung für die Tiere (Schweregrad siehe unten). Der Antrag wird auf seine formelle Richtigkeit geprüft und sich mit der Ethikkommission (siehe oben) des Regierungsbezirkes beraten. Eine Ablehnung durch die Ethikkommission führt jedoch selten zu einer Ablehnung des Tierversuchs durch die Behörde.
Weniger als 1% der Tierversuchsanträge werden abgelehnt und das meist aus formellen Gründen.
Den Nachweis, dass es für den Versuch eine tierversuchsfreie Methode gibt, muss die Behörde bzw. die Ethikkommission bringen. Das können Personen ohne vorhandenes Spezialwissen in allen wissenschaftlichen Disziplinen verständlicherweise nicht leisten.
Schweregrade
Seit 2014 müssen Tierforscher jeden Tierversuch einem der vier definierten Schweregrade zuordnen. Nach Richtlinie 2010/63/EU wird der Schweregrad eines Verfahrens nach dem Ausmaß von Schmerzen, Leiden, Ängsten oder dauerhaften Schäden festgelegt, die das einzelne Tier während des Verfahrens voraussichtlich empfindet bzw. erleidet.
Keine Wiederherstellung der Lebensfunktion: Verfahren, die gänzlich unter Vollnarkose durchgeführt werden, aus der das Tier nicht mehr erwacht, werden als „keine Wiederherstellung der Lebensfunktion“ eingestuft.
Gering: Verfahren, bei denen zu erwarten ist, dass sie bei den Tieren kurzzeitig geringe Schmerzen, Leiden oder Ängste verursachen sowie Verfahren ohne wesentliche Beeinträchtigung des Wohlergehens oder des Allgemeinzustands der Tiere werden als „gering“ eingestuft.
Mittel: Verfahren, bei denen zu erwarten ist, dass sie bei den Tieren kurzzeitig mittelstarke Schmerzen, mittelschwere Leiden oder Ängste oder lang anhaltende geringe Schmerzen verursachen sowie Verfahren, bei denen zu erwarten ist, dass sie eine mittelschwere Beeinträchtigung des Wohlergehens oder des Allgemeinzustands der Tiere verursachen, werden als „mittel“ eingestuft.
Schwer: Verfahren, bei denen zu erwarten ist, dass sie bei den Tieren starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste oder lang anhaltende mittelstarke Schmerzen, mittelschwere Leiden oder Ängste verursachen sowie Verfahren, bei denen zu erwar ten ist, dass sie eine schwere Beeinträchtigung des Wohlergehens oder des Allgemeinzustands der Tiere verursachen, werden als „schwer“ eingestuft.
Konkrete Beispiele für Verfahren der verschiedenen Schweregrade finden sich im Anhang VIII der Richtlinie und sollen jedem Experimentator als Einschätzungshilfe dienen. Die Zuordnung in einen der Schweregrade nimmt jeder Forscher selber vor. Studien belegen, dass diese Zuordnung in den seltensten Fällen im Vorfeld realistisch eingestuft wurden. So wurden von 235 nachträglich ausgewerteten Versuchsbeschreibungen nur 83 als „schwer“ eingestuft. Die übrigen 65% wurden als „mittel“ oder sogar „gering“ gewertet, obwohl die Leiden eindeutig dem Schweregrad „schwer“ zuzuordnen sind.
Statistiken
Tierversuchsstatistik - 2015 starben in Deutschland 2,75 Millionen Tiere, davon 72% Mäuse, 11,6% Ratten, 7,2% Fische und 3,9% Kaninchen. Ausserdem Meerschweinchen, Schweine, Hund, Affen, Katzen und viele andere Tierarten.
Tierversuchshochburgen Deutschlands - Obwohl der größte Teil der Tierversuche mit unseren Steuergeldern finanziert wird, gibt es keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, wo wie viele Tierversuche durchgeführt werden. Die folgenden Angaben basieren auf mehreren Tausend Einträgen der Datenbank:
1. München, 2. Berlin, 3. Göttingen, 4. Hannover, 5. Tübingen, 6. Heidelberg, 7. Düsseldorf, 8. Würzburg, 9. Erlangen, 10. Hamburg
Bundesländervergleich - Allein in den drei Bundesländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern findet fast die Hälfte aller Tierversuche in Deutschland statt.
Umfrage 2017: Meinung zu Tierversuchen - Mehr als die Hälfte der Befragten (52%) hält Tierversuche für den medizinischen Fortschritt nicht für erforderlich und zudem für grausam und findet, dass sie gestoppt werden sollten, da es bessere Forschungsmethoden gibt. Eine große Mehrheit (75%) ist der Meinung, dass tierversuchsfreie Forschung stärker als bisher gefördert werden sollte.
Umfrage zu Tierversuchen in 6 EU-Ländern - 84 (89) % der Befragten sind dafür (oder überwiegend dafür), dass die neue (EU-) Richtlinie alle Tierversuche - unabhängig von der Tierart - verbieten soll, die mit schweren Schmerzen oder Leiden für die Tiere einhergehen. 80 (84) % der Befragten sind dafür (oder überwiegend dafür), dass alle Informationen zu Tierversuchen öffentlich zugänglich gemacht werden, ausgenommen vertrauliche Daten sowie Informationen, die Rückschlüsse auf die Forscher und deren Arbeitsplätze zulassen.
Validierung
Damit tierversuchsfreie Methoden genutzt werden können, müssen sie validiert werden, dass bedeutet, ihre Eignung muss nachgewiesen werden. Diese Validierung befugt dann eine bestimmte Testmethode z.B. im Bereich der Giftigkeitsprüfung, international anerkannt zu sein. Diese Anerkennung benötigt man für gesetzlich vorgeschriebene Tests wie sie u.a das Arzneimittelgesetz, das Chemikaliengesetz oder das Waschmittelgesetz vorschreibt. Es soll ein internationaler Standard gesetzt sein, der Sicherheit für den Verbraucher bedeutet.
Die Dauer des Validierungsverfahrens kann 10-15 Jahre dauern. Entscheidungskriterium ist u.a. die Voraussetzung, dass das Ergebnis mit dem aus dem entsprechenden Tierversuch übereinstimmen muss. Der Tierversuch selber wurde nie validiert, d.h. es gibt keinen Nachweis darüber, dass der Tierversuch ein richtiges Ergebnis liefert. Die Qualität neuer, sinnvoller Testsysteme wird also an einer schlechten, veralteten Methode gemessen